Montag, 20. September 2010

Arzt in Heimatnähe

Als Familie gewöhnen wir uns an meinen Drei-Wochen-Rhythmus: In der ersten Woche muss ich in die Klinik zur Chemotherapie. In der Zeit wohnt Claudia mit den Kindern bei ihrem Bruder in Wart. Die zweite Woche bringt dann meine Entlassung und einige Tage fast Bettruhe ebenfalls in Wart mit zwei Fahrten nach Sindelfingen zur Blutkontrolle. Wenn alles gut läuft, können wir dann in der dritten Woche nach Hause in’s Allgäu fahren bis die nächste Chemo ruft.

Nach dem 4. Block der Chemo deutet sich jetzt eine kleine Änderung in diesem Rhythmus an. Ich habe mich schon länger gefragt, ob ich wirklich wegen jeder Blutkontrolle in die Klinik nach Sindelfingen fahren muss. Labors gibt es doch schließlich in jedem Krankenhaus. Doch selbst auf wiederholte Nachfrage war mir in der Klinik eher abgeraten worden, mich für die Tage zwischen den Chemo-Blöcken nach einem Arzt in Heimatnähe umzusehen. Draußen im fernen Allgäu traute man meine Betreuung niemandem zu. So blieben wir bisher in Wart im Schwarzwald und die Krankenkasse bezahlte mir die 45minütige Taxifahrt zweimal in der Woche nach Sindelfingen zur Blutkontrolle. Nur, wenn sich die Blutwerte von dem zu erwartenden Tief nach der Chemo erholt hatten, ließ man mich in die Heimat fahren. Doch dafür blieb kaum Zeit.

Diesmal nahm ich im Vorfeld Kontakt zu einer onkologischen Praxis in Wangen auf und verlegte die Termine zur Blutkontrolle in der zweiten Woche Freigang auf eigene Faust nach Wangen. Und siehe da, die Ärzte hier wussten recht gut mit meiner Behandlung umzugehen. Der leitende Arzt bemerkte nebenbei, dass er das Problem kennt. In seiner frühen Praxis habe er auch Patienten in die Klinik nach München bestellt, obwohl er ihnen damit eine mehrstündige Autofahrt auferlegte. Inzwischen habe er jedoch gelernt, neben dem Blick auf die Blutwerte den auf die Lebensqualität der Patienten nicht zu vergessen. Meine Vermutung, dass mein Blut erst in ein Labor geschickt werden muss und die Ergebnisse womöglich erst am nächsten Tag vorliegen würden, erwies sich als Irrtum. Nach fünf Minuten kam der Arzt mit den Werten - die richtig schlecht ausfielen. Das nennen die Mediziner den Leukozyten-Nadir oder Tiefpunkt der weißen Blutkörperchen. Von da an geht’s wieder bergauf. Bestätigt wurde mir die Richtigkeit der Entscheidung, für die einwöchigen Blöcke der Chemotherapie nach Sindelfingen zu fahren. Auf diese Art von Hochdosis-Chemo sind die Krankenäuser hier in der Gegend nicht eingerichtet.

Nur die Schwestern schauten auf meine PICC-Line (mein “Tankstutzen” am Oberarm, durch den die Infusionen eingefüllt und die Blutproben entnommen werden) mit verwundertem Zweifel. Das hatten sie noch nicht gesehen und schon gar nicht an dieser Stelle. Trotzdem  klappte das Anzapfen und nach der Blutentnahme bekam ich einen geradezu kunstvollen Verband.

Fazit: ich hoffe, nach den verbleibenden Wochen der Chemotherapie in Sindelfingen jetzt für länger Zeit nach Hause nach Wangen fahren zu können. Vor allem hoffe ich freilich, dass ich bald gar nicht mehr in die Klinik muss. Wenn Gott mir Heilung schenkt, dann hat sich der Drei-Wochen-Rythmus erledigt.

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